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Die Europawahlen im Jahr 2024 haben eine Verschiebung der Kraftverhältnisse im EU-Parlament mit sich gebracht. Die Wiederbestellung von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin wurde an klare Bedingungen geknüpft: Nach einer ersten Amtsperiode im Zeichen des "Green Deal" hatte nunmehr das Thema der „Wettbewerbsfähigkeit“ der europäischen Wirtschaft in den Fokus zu rücken. Ein neuer „Clean Industrial Deal“ soll zwar am übergeordneten Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festhalten, darüber hinaus aber einer neuen ökonomischen Realität Rechnung tragen – die im Zeichen der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit steht. Die in den letzten Jahren geschaffene und an vielen Stellen inkohärente Nachhaltigkeitsregulatorik sollte dafür einem „Realitätscheck“ unterzogen werden; und manch überbordende Vorgabe wieder zurückgenommen werden.
Die EU-Kommission kündigte an, hierfür eine Omnibus-Initiative zu starten. Ein solcher „Omnibus“ stellt einen Sammel-Rechtsakt dar, mit dem in verschiedene Normen gleichzeitig eingegriffen wird. Bereits in früheren Jahren gab es immer wieder derartige Initiativen, häufig im Bereich des Rechts des Finanzsektors. Mit dem Arbeitsprogramm 2025 wurden drei solcher „Omnibusse“ als Entwürfe vorgelegt, von denen die zwei ersten am 26.2.2025 vorgelegt wurden – mit der offiziellen Präsentation des „Clean Industrial Deal“.
Der erste Omnibus wird als „Omnibus-Paket zur Nachhaltigkeit“ bezeichnet und enthält zahlreiche Vorschläge für die Abänderung von CSRD, CS3D, Taxonomie-VO und CBAM. Für die bisher mit hoher Geschwindigkeit voranschreitenden Arbeiten an der Nachhaltigkeitstransformation der europäischen Wirtschaft markierte diese Veröffentlichung einen Vollstopp. Denn anders als ursprünglich noch angekündigt beschränken sich die Vorschläge nicht auf (punktuelle) Vereinfachungen, sondern es soll auf eine Weise in die betroffenen Normen eingegriffen werden, die einer Deregulierung gleichkommt.
Die Normen, die im Zentrum der vorgelegten Vorschläge der EU-Kommission stehen, sind seit langer Zeit schon umstritten. Sie wurden unter hohem Zeitdruck erarbeitet und in einer Geschwindigkeit als verpflichtend erklärt, die Ihresgleichen sucht. Viele der vorliegenden Regelungen sind daher handwerklich unbefriedigend gelöst bzw. haben den ersten Praxistest nicht gut bestanden; und auch über die verschiedenen Rechtsnormen übergreifend haben sich Redundanzen und Inkonsistenzen offenbart. In der bisherigen Anwendungspraxis bedeutet dies, dass selbst große börsennotierte Unternehmen oftmals heillos überfordert waren, den Anforderungen Rechnung zu tragen. Eine teils erratische Kommunikationspolitik seitens der EU-Kommission und die kaum noch zu überblickende Vielzahl an Standardsetzer und sonstiger Akteure auf dem Feld hat die Kritik nur weiter befeuert. Es ist daher unbestritten, dass Bedarf an einer Überarbeitung und Vereinfachung besteht.
Die Politik ist aber weitergegangen, v.a. da viele der Vorgaben als bloße „Bürokratie“ missverstanden werden. Dies verkennt den Zusammenhang zwischen den Normen und das Konzept, in dem sie ihren Ursprung haben: nämlich jenes der Sustainable Finance. Schon vor dem Green Deal veröffentlichte die EU-Kommission ihren Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums (2018). Mit diesem wurde anerkannt, dass der Klimawandel so wie viele andere Entwicklungen (auch) eine Gefahr für die gesamte Wirtschaftsordnung darstellt. Um diesen zu bekämpfen, müssen zunächst die Kapitalmärkte neu ausgerichtet werden, um Nachhaltigkeit sichtbarer zu machen: Damit entsprechende Wirtschaftstätigkeiten gefördert werden und damit v.a. privates Kapital aufgebracht wird, um die beträchtlichen Finanzierungsbedarfe zu stemmen, die mit Dekarbonisierung & Co. einhergehen. Gelingt dies nicht, so werden die Kosten für die Wirtschaft wie für die Gesellschaft beträchtliche sein; für Kapitalmärkte stellt dies darüber hinaus eine der größten Bedrohungen für die absehbare Zukunft dar.
Wenn die Omnibus-Vorschläge nunmehr den Kreis der unterworfenen Unternehmen massiv einschränken wollen oder die Verlässlichkeit der vorgelegten Informationen beschneiden, so gefährdet dies den soeben dargestellten Wirkungszusammenhang. Es bleiben zwar stark reduzierte Normen übrig, die aber ihren eigentlichen Zweck verfehlen. Damit wird aber den europäischen Unternehmen auch das anvisierte Nutzenpotential vorenthalten. Anders gesagt: Die überarbeiteten Regelungen mögen vielleicht kostengünstiger zu implementieren sein, aber entfalten kaum noch Nutzen – weder für die Unternehmen selbst noch für deren Stakeholder. Und wären wohl erst dann wirklich unzweifelhaft als „Bürokratie“ brandzumarken. Es ist einer der verunsicherndsten Aspekte der gesamten Omnibus-Initiative der EU-Kommission, dass gerade das Nutzenpotential hinter den zu bearbeitenden Regeln bzw. hinter den vorgeschlagenen Vereinfachungen soweit nicht in die Betrachtung aufgenommen wurde; entgegen den Verfahrensregeln, die man sich für solche Regulierungsmaßnahmen selbst gesetzt hat.
Soweit es der EU-Kommission möglich war, hat sie bereits Fakten geschaffen. Die Erstanwendung der CSRD wurde für bisher nicht berichtspflichtige Unternehmen um zwei Jahre verschoben (ab dem Geschäftsjahr 2027); und auch der Start für die Anwendung der CS3D ist um ein Jahr verschoben. Darüber hinaus hat die EU-Kommission Anfang Juli 2025 neue Vorgaben zur Taxonomie-VO verabschiedet, mit der die damit verbundenen Berichtspflichten massiv eingeschränkt werden und v.a. der Finanzsektor weitreichende Erleichterungen erhält. Die Überarbeitung des CBAM steht ebenso fast vor ihrem Abschluss. Schließlich hat sie die EFRAG bereits beauftragt, die vorliegenden Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) zu überarbeiten und zu vereinfachen; die Neufassungen sollen bis Ende November an die EU-Kommission zur weiteren Prüfung und formellen Übernahme zugestellt werden.
Die polnische Ratspräsidentschaft hat in den letzten Juni-Tagen die Verhandlungsposition des Rats der EU zur Abänderung von CSRD und CS3D finalisiert, die noch weitergehende Deregulierungsmaßnahmen einfordert, als sie im Kommissionsvorschlag enthalten waren. Das EU-Parlament konnte sich zumindest auf eine erste interne Verhandlungsgrundlage einigen, über die nach der Sommerpause wohl intensiv debattiert wird. Sobald das Parlament zu einem Ergebnis gekommen ist, kann der Trilog-Prozess starten. Es ist im Moment mit einem Abschluss Anfang 2026 zu rechnen; eine Abschätzung, wie ein zu erwartendes Ergebnis aussieht, ist im Moment kaum abzusehen. Hiernach haben die Mitgliedstaaten ein Jahr Zeit, die Regelungen der überarbeiteten Normen in ihr nationales Recht zu übernehmen.
Auch für den österreichischen Gesetzgeber hat dies Folgen. Dieser ist bislang selbst mit der CSRD-Umsetzung säumig. Ein Zuwarten auf die Finalisierung des Omnibus-Pakets zur Nachhaltigkeit würde aber die bestehende Rechtsunsicherheit auf noch nicht absehbare Weise prolongieren. Wieder zum Schaden der davon betroffenen Unternehmen. Da nunmehr selbst in anderen Mitgliedstaaten, in denen die Umsetzung gleichermaßen offen ist, entsprechende Initiativen zu erkennen sind, ist zu hoffen, dass der österreichische Gesetzgeber dieses Gebot der Stunde in aller Klarheit erkennt (und sich als „Nebennutzen“ zugleich wieder der Grundsätze der EU-weit geltenden Rechtssystems besinnt). Selbst wenn dann eine weitere Überarbeitung in naher Zukunft notwendig sein wird.
Die Vorgaben der EU-Normen, die nun im Zentrum der Kritik stehen, können reduziert, vereinfacht oder auch ganz abgeschafft werden. Die zugrunde liegenden Entwicklungen, wegen derer sie überhaupt erst entwickelt wurden, bleiben davon aber unbeeindruckt: Der Klimawandel schreitet voran und gefährdet dabei u.a. die Stabilität der globalen Finanzmärkte; und bei Weitem ist dies nicht die einzige Krise, die inzwischen schon konkret abzusehen ist. Trotz aller Ungewissheit, wie es für wen wann weitergehen wird, müssen Unternehmen auf diese Entwicklungen schon jetzt reagieren.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist es, anzuerkennen, dass das Thema Nachhaltigkeit gekommen ist, um zu bleiben. Die Arbeiten der letzten Jahre haben hier doch schon viel verändert; und der externe Druck bleibt ebenso unverändert. Dies erfordert eine Verankerung in Strategie und Governance – um so zum Tun zu kommen. Aber auch ein internes und ggf. externes Berichtswesen wird unumgänglich sein, frei nach dem Motto: you can only manage what you can measure (Peter Drucker). Der Druck wird sich hier weiterhin aufbauen: seitens des Finanzmarktes, seitens der Geschäftspartner – und nicht nur auf den EU-Raum beschränkt.
Bislang schon betroffene Unternehmen sollten daher im eigenen Interesse die Implementierungsprojekte fortsetzen. Soweit sich nicht jetzt schon eine Berichtspflicht ergibt, bietet der ESRS VSME vom Dezember 2024 eine Orientierung für ein Rechenwerk, das auf kompakte Weise zu erstellen ist und daneben Flexibilität für die Bedürfnisse der eigenen Organisation bietet. Zugleich ist es konsistent mit jenen „full“ ESRS, die auch in Zukunft für die Kapitalmärkte von bestimmender Bedeutung sein werden.
In diesem ESRS VSME (gegenwärtig) nicht vorgesehen, aber als „Herzstück“ einer jeden Nachhaltigkeitsberichterstattung stets eine sinnvolle Erweiterung ist eine Wesentlichkeitsanalyse. Eine Befassung mit den Stakeholdern, um Zusammenhänge und Abhängigkeiten zu identifizieren, ist selbst abseits der Berichtspflichten ein Gewinn für jede Form der vorausschauenden Unternehmensführung.
CSRD & Co. werden heute im politischen Diskurs als „bürokratische Monster“ dargestellt, welche die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen beeinträchtigen. Die ursprüngliche Idee hierhinter war aber eine andere; auf der Erkenntnis beruhend, dass Nachhaltigkeit die langfristig wohl vielversprechendste Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft darstellen kann – aufgrund des Innovationspotentials, aber auch durch die damit verbundene Steigerung der Resilienz hiesiger Unternehmen. Dass beides unverändert notwendig scheint, das zeigen die rapide voranschreitenden ökologischen wie gesellschaftlichen Veränderungen nur allzu deutlich auf. Falsch ist es also, zu denken, dass man sich „Nachhaltigkeit leisten können muss“; vielmehr weisen alle wissenschaftlichen Befunde darauf hin, dass es sich ein Unternehmen nicht leisten kann, nicht nachhaltig aufgestellt zu sein.
Vorausblickende Regulatorik schafft verlässliche Rahmenbedingungen und unterstützt Unternehmen dabei, frühzeitig notwendige Schritte zu setzen – selbst wenn diese Notwendigkeit in manchen Fällen noch nicht in der gebotenen Klarheit erkannt wird. Die Omnibus-Initiative hat nun aber Verunsicherung geschaffen und überlässt es Unternehmen wieder selbst, ihre Handlungsbedarfe zu identifizieren. Aber ohne einen Normenrahmen, der Verbindlichkeit sowie ein „level playfield“ schafft, werden die Kosten für das Gesamtsystem mittel- bis langfristig eher steigen. Und es wird viele Verlierer geben – nämlich primär jene Unternehmen, die die notwendigen Reaktionen auf die Veränderungen in Umwelt und Gesellschaft zu setzen verabsäumen und wertvolle Zeit verlieren. Besonders diesen sei der wissenschaftlich gut belegte Spruch in Erinnerung gerufen, wonach Untätigkeit zumeist mittel- bis langfristig am teuersten kommt.
Anders gesagt: Nachhaltigkeit ist heute eine Kernfrage des „Business“. Die Omnibus-Initiative legt aber den – an sich schon lange überwundenen – Eindruck nahe, es ginge alleine um Ethik oder gar „Moral-Imperialismus“. Bei rationaler Betrachtung wirkt es so, als wären alle Fortschritte und Erkenntnisse der letzten Jahre rückgängig gemacht worden. Letztlich ist die Omnibus-Initiative in der nun materialisierten Form aber wohl schlicht nicht rational zu erfassen – sondern Ausdruck einer (wie eingangs erwähnten) politischen Machtverschiebung, die ihrerseits in gesellschaftlichen Veränderungen begründet liegt. Und damit ein Symptom einer tiefgehenden institutionellen Krise, bei der es noch um weitaus mehr als „nur“ um Nachhaltigkeitsregularien in der EU geht. Gerade deswegen ist es aber auch besonders wichtig, den Kampf um eine sinnvollere Reform als jene, die im Moment im Raum steht, nicht aufzugeben.
Josef Baumüller beschäftigt sich mit dem Thema der Nachhaltigkeitsberichterstattung in Lehre und Forschung. Er ist Autor zahlreicher Fachartikel und Bücher zu dem Thema.
Die Technische Universität Wien ist Österreichs größte Forschungs- und Bildungseinrichtung im Bereich Technik und Naturwissenschaften. Mehr als 4.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen an "Technik für Menschen". Mehr als 26.000 Studierende in 62 Studien profitieren davon. Als Innovationsmotor stärkt die TU Wien den Wirtschaftsstandort, ermöglicht Kooperationen und trägt zum Wohlstand der Gesellschaft bei.
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