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Klimapolitik erlebt zurzeit ein Zwischenhoch. Ausgelöst wurde es durch die zur Ikone gewordene Schülerin Greta Thunberg mit ihrem Sitzstreik vor dem schwedischen Reichstag, wenige Tage vor den dortigen Wahlen im September des Vorjahres. Weltweit sichtbar wurde die mit ihrem Namen eng verbundene Bewegung Fridays for Future mit Demonstrationen in weit über hundert Staaten.
Die aktuellste Ausprägung dieses klimapolitischen Zwischenhochs ist die Rede von Ursula von der Leyen vor dem Europäischen Parlament. Ihre Aussagen zur Klimapolitik ließen aufhorchen und waren möglicherweise entscheidend für den knappen Erfolg bei der Abstimmung um das Amt der Präsidentin der Europäischen Kommission. Im Poker um die Stimmen setzte Frau von der Leyen auf zwei Zahlen: erstens soll Europa bis 2050 klima-neutral werden, d.h. nicht mehr zur Erhöhung der Treibhausgase in der Atmosphäre beitragen; zweitens soll das derzeitige Reduktionsziel für 2030 von 40% auf 50% und möglicherweise 55% erhöht werden.
Nur unzureichend mitgeliefert wurden bei diesem Ziel-Poker die Strategien, mit denen diese zweifellos ambitioniertere Klimapolitik unterfüttert werden könnte. Deshalb zur Erinnerung einige Hinweise, mit welchen gravierenden Weichenstellungen solche Ziele zu verbinden wären: ein Stopp für jede neue Infrastruktur für Fossile, von Heizkesseln für Öl und Gas bis zu neuen Pipelines; ein schneller Ausstieg aus Kohle für Elektrizität, vor allem in Deutschland und in Polen; Öl und Gas für Gebäude nur noch im Ausnahmefall; mindestens eine Halbierung des Verbrauchs von fossilen Treibstoffen und nur mehr geringe Anteile von konventionellen Fahrzeugen ab 2025.
Erst ein solcher Beipackzettel zum Zahlen-Poker über Klimaziele macht die unerwünschten Nebenwirkungen einer vom Klimahype getriebenen Klimapolitik sichtbar. Das klimapolitische Zwischenhoch könnte nämlich schnell wieder vom gewohnten stationären Tief abgelöst werden, wenn in der Rede von Frau von der Leyen weitergelesen wird. Die von ihr genannten Investitionen für den Umbau unseres Energiesystems würden sich umgelegt auf Österreich mit nicht mehr als 2 Mrd. € pro Jahr niederschlagen. Mindestens die zehnfache Anstrengung wäre tatsächlich erforderlich. Ähnliches gilt für die vorgeschlagene Bepreisung von Emissionen, um Verhaltensänderungen zu erzielen. Ein solcher Preis müsste mindestens bei 100 € pro Tonne CO2 liegen, was beispielsweise einen Liter Treibstoff um 25 bis 30 Cent verteuern würde. Aber auch damit werden radikale Änderungen bei Mobilität nicht bis 2030 in Gang kommen, abgesehen vom fehlenden politischen Konsens.
Soll das von Greta Thunberg bis Ursula von der Leyen getragene Zwischenhoch in der Klimapolitik nicht nur Klimahype bleiben, werden andere Orientierungen notwendig sein, um auch in Österreich die noch weißen Flecken auf der politischen Agenda auszufüllen. Dazu drei Anregungen.
Erstens sollen sich weder Wissenschaft noch Politik scheuen aufzuzeigen, dass wir uns in einer ähnlichen Situation befinden, die vor genau 50 Jahren zur ersten Landung von Menschen auf dem Mond führte. Als die Politik dieses Ziel festlegte war noch nicht absehbar, wie das gelingen sollte, aber es wurden mit enormen finanziellen Mitteln jene innovativen Kräfte mobilisiert, von denen schließlich weit über die Mondlandung hinaus bis heute unser globaler Wohlstand profitiert. Abbildung 1 zeigt diese aus heutiger Sicht Mission Impossible für Österreich.
Abbildung 1. Mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbare Emissionspfade für Österreich*
Zweitens wäre zu erinnern, dass das derzeitige Verständnis von Energiesystemen oft an eine Kompetenz erinnert, wo sich jemand nach dem Blick auf ein Foto schon die Steuerung eines Flugzeugs zutraut. Analog ist allein mit dem üblichen Vokabular von Erneuerbaren, Effizienz und Energiewende die Bewältigung der Transformation unserer Energiesysteme aussichtslos.
Drittens soll nicht der Eindruck erweckt werden, es liegen fertige Rezepte in irgendeiner Schublade, die nur noch umzusetzen wären, um ambitionierte Reduktionsziele zu erfüllen. Etliche der bisher vorgeschlagenen Maßnahmen, wie Elektrizität zu 100 Prozent aus Erneuerbaren oder die Verdoppelung von Sanierungsraten für Gebäude erweisen sich für die Zielerreichung als irrelevant oder sogar potentiell kontraproduktiv.
Deshalb zwei nur scheinbar paradoxe Empfehlungen für die nächsten Schritte in Österreich. An erster Stelle ein ganz anderer Blick auf das Energiesystem, nämlich nicht welche Energie wir beziehen, sondern wofür Energie letztlich gebraucht wird. Abbildung 2 skizziert dies in einer Aufteilung für thermische, mechanische und spezifisch elektrische Anwendungen samt den Verlusten in unserem Energiesystem. Dann eine Erinnerung an das Parlament, die derzeit geplanten Initiativen für eine Prolongierung der Förderung von Erneuerbaren nicht zu behandeln, weil damit zukunftsfähige Transformationen [- wie Energy Hubs mit voll integrierten Komponenten für die Verwendung, Transformation, Speicherung und Bereitstellung von Energie -] eher behindert als gefördert werden.
Abbildung 2. Zukunftsfähige, aber noch nicht mit den Pariser Zielen kompatible Strukturen des Energiesystems für Österreich*
Weiterführende Links
Über den Autor:
Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz und Konsulent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Er begleitet seit Jahren die österreichische und internationale Energie- und Klimapolitik. Aktuell koordiniert er internationale Forschungsprojekte zu Energiestrategien und Transformationen der energieintensiven Industrien.
*Quellen der Abbildungen:
Abbildung 1: Stefan Schleicher und Gottfried Kirchengast. Monitoring der österreichischen Treibhausgas-Emissionen bezüglich der im Klimaschutzgesetz festgelegten Höchstmengen, Wegener Center, Juli 2019. https://wegcwww.uni-graz.at/publ/downloads/KSG-Monitoring-Nowcasting_Memo-WEGC_v4-1Jul2019.pdf
Lukas Meyer und Karl Steininger. Das Treibhausgas-Bubdget für Österreich, Wegener Center. Oktober 2017.
https://wegcwww.uni-graz.at/publ/wegcreports/2017/WCV-WissBer-Nr72-LMeyerKSteininger-Okt2017.pdf
Abbildung 2:
Stefan P. Schleicher, Angela Köppl, Mark Sommer, Stephan Lienin, Martin Treberspurg, Doris Österreicher, Roman Grünner, Reinhold Lang, Manfred Mühlberger, Karl W. Steininger, Christian Hofer, Welche Zukunft für Energie und Klima? Folgenabschätzungen für Energie- und Klimastrategien.
https://www.wifo.ac.at/publikationen/publikationssuche?detail-view=yes&publikation_id=61014
Stefan P. Schleicher und Karl W. Steininger. Wirtschaft stärken und Klimaziele erreichen: Wege zu einem nahezu treibhausgas-emissionsfreien Österreich , Wegener Center, November 2017.
https://wegcwww.uni-graz.at/publ/wegcreports/2017/WCV-WissBer-Nr73-SSchleicherKSteininger-Nov2017.pdf
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